Die Krux mit dem oxidativen Stress und Antioxidantien
13. September 2015
| Kategorie: Blog
Oxidativer Stress gilt als ein wesentlicher
Alterungsgrund. Trotz fortgeschrittener Forschungslage
lassen sich
daraus nur mühsam, wenn gar nicht fundierte Interventionen
ableiten.
Ein im Alltag zu beobachtendes Phänomen ist das Rosten von
Metall. Leider ist dasselbe Prinzip beim Stoffwechsel eines jeden auf
Sauerstoff angewiesenen Lebewesens vorzufinden, nämlich die
Oxidation von Stoffen, also deren Reaktion mit Sauerstoff. Wie beim
derartigen Altern des Metalls werden die oxidativen Vorgänge
auch beim Menschen für dessen Alterung verantwortlich gemacht.
Diesem sog. oxidativen Stress hat sich zwar seit geraumer Zeit die
medizinische Forschung angenommen und auch viele Erkenntnisse
über einzelne Schadensmechanismen geliefert, dennoch lassen
sich daraus schwerlich fundierte Interventionen ableiten. Die
Gründe werden im Folgenden erörtert.
1. Begriffsverwirrung auf Seite des oxidativen Stresses
Für den oxidativen Stress werden wahlweise freie Radikale oder
reaktive Sauerstoffspezies (
Reactive Oxygen Species
/
ROS)
verantwortlich gemacht. Trotz häufiger Ineinssetzung sind dies
aber nicht identische Begriffe. Freie Radikale sind chemische
Verbindungen aller Art mit ungepaarten Elektronen, d. h. welchen mit
fehlendem „Partner“ auf derselben Orbitalbahn (z.
B. Superoxidanion-Radikal), was die Oxidation begründet.
Hingegen sind ROS bloß reaktionsfreudige Formen des
Sauerstoffs, die aber nicht notwendigerweise ungepaarte Elektronen
aufweisen (z. B. H
2O
2).
[1]
Daher zählen zu freien Radikalen
auch Stickstoffverbindungen mit freien Elektronen, die beim
nitrosativen Stress eine Rolle spielen, zudem auch dergleichen
Schwefelverbindungen als weiterer hypothetischer Grund des Alterns.
[2]
Doch auch bei beiden letzteren wird die Grenze zu den jeweiligen
reaktiven Spezies als Oberbegriff nicht scharf gezogen. Alles in allem
werden die Begriffe nicht trennscharf gehandhabt, was insbesondere den
Laien zu vorschnellen Schlüssen verleitet. Daneben lassen sich
noch
Prooxidantien ins Feld führen. Dies
sind Stoffe, die eine
Synthese der ROS herbeiführen (z. B. Homocystein)
[3]
und leicht mit den
Oxidationsmitteln selbst verwechselt werden können.
Auch hinsichtlich der Definition des oxidativen Stresses wird
Verwirrung gestiftet. Eigentlich ist ein Ungleichgewicht zwischen den
ROS und den diese neutralisierenden Antioxidantien vermeint, sodass
Zellgewebe, Proteine oder Lipide oxidiert werden. Hin und wieder wird
bereits die Synthese der ROS als oxidativer Stress bezeichnet,
spätestens jedoch das Vorliegen irreversibler
Schäden. Einigkeit herrscht jedenfalls darüber, dass
die ROS-Synthese nebst äußerlicher Induktion wie bei
UV-Bestrahlung ein völlig natürlicher
Stoffwechselvorgang ist und die ROS wichtige Funktionen
übernehmen, u. a.: Gefäßerweiterung,
Immunabwehr,
Ankurbelung körpereigener Antioxidantien. Gerade Letzteres
erfolgt scheinbar erst ab einem bestimmten
Schwellwert der ROS-Konzentration und dies dann aber umso effektiver;
Fachbegriff hierfür ist
Mitohormesis.
Unter dem Schwellwert liegt sodann
womöglich höheres Schadenspotential vor als
darüber.
[4]
Dies
spricht klar gegen die Bemessung des oxidativen Stresses alleine anhand
des Ausmaßes der ROS-Synthese oder -Konzentration und
angesichts der anderen Funktionen der ROS ist deren radikale
Bekämpfung durchaus fragwürdig. Vermeintlich
spricht die Überführung von Megadosen von
Antioxidantien als gesundheitsschädlich dafür.
[5]
Unklar ist
aber, ob nicht in erster Linie Nebeneffekte ohne Zusammenhang mit den
ROS
verantwortlich sind, möglich ist zudem eine paradox
erscheinende Ankurbelung
der ROS.
[6]
2. Begriffsverwirrung auf Seite der Antioxidantien
Wozu angesichts der Risiken und positiver Nutzen moderater ROS-Level
dann noch überhaupt auf die Zufuhr von Antioxidantien
achten? Hierfür gibt es durchaus gute Gründe.
Antioxidantien aus Nahrung wirken überaus synergetisch
mit dem körpereigenen Schutzsystem und so manifestiert sich
Mangelernährung u. a. in einem gestörten Stoffwechsel
durch hohe Konzentration an ROS. Bspwl. lässt eine
Diät frei von dem Antioxidans Vitamin B5 Ratten ergrauen,
[7]
was Folge der Akkumulation des ROS H
2O
2
ist.
[8]
Auch bei von
außen herbeigeführter hoher ROS-Synthese wie bei
Sonnenbrand kann eine Imbalance entstehen, die eine
Supplementation
sinnvoll erscheinen lässt. Jedoch werden verschiedene Arten
von Antioxidantien mit völlig unterschiedlichen Wirkweisen
unterschieden,
[9]
sodass angesichts
unterschiedlicher Erfolgsaussichten
und Nebenwirkungen nicht wahllos zu entsprechenden Mitteln gegriffen
werden kann.
Am geläufigsten sind die ROS-Abbauhelfer, genannt
Scavenger.
Diese Reduktionsmittel oxidieren bei Kontakt mit den ROS, d. h. geben
ein Elektron ab, während sie die Oxidationsmittel ROS
reduzieren, welche ein Elektron aufnehmen. Infolgedessen sind die ROS
neutralisiert, bevor diese toxisch wirken. Typische Vertreter sind
Vitamine (u. a. B12)
[10],
Spurenelemente oder Polyphenole.
Besonders effektiv und in Tierversuchen
lebensverlängernd (+44 %)
[11]
sind Scavenger, die die
körpereigenen
Antioxidantien nachahmen (mimetics).
Eine weitere Klasse von
Antioxidantien
zeichnet sich durch die Hemmung von Prozessen, die der ROS-Synthese
zugrunde liegen, aus. Ein Beispiel für solche
ROS-Synthese-Hemmer
ist
das Parkinson-Medikament Selegilin,
welches die
ROS ankurbelnden Monoaminooxidase-Enzyme blockiert und Ratten
über 30 % höhere Lebenserwartung beschert.
[12]
Auch demnach wäre die isolierte starke Unterdrückung
der
ROS durchaus wünschenswert. Vitamin B12, das als Cofaktor
zum Abbau des Prooxidans Homocystein gebraucht wird,
zählt
ebenso zu den Hemmern.
[13]
Erkennbar wirken manchen Substanzen auf
vielfache Weise. Mittel, die hingegen die
körpereigenen ROS-Fänger (v.
a. SOD, Katalase) aktivieren, sog.
Antioxidant
Inducer,
zählen
auch zu Antioxidantien. Das Polyphenol Resveratrol ist ein
prominentes
Beispiel.
[14]
Weil die Induktion auch auf dem Wege der ROS-Ankurbelung
über
den o .g. Schwellwert vonstatten gehen kann, wirken sich manche
Prooxidantien indirekt antioxidativ aus. Im weitesten
Sinne zählen zu
Antioxidantien auch Mittel, die eingetretene
Oxidationsschäden beheben helfen.
„Antioxidant
action“
entfaltet daher auch das
Reparatur-Enzym
methionine
sulfoxide reductase, dessen Ankurbelung durch
Genmanipulation
Taufliegen +73 % Lebenerwartung beschert.
[15]
3. Tücken einer Intervention
Wird nicht der Fehler begangen, bereits beim Auftauchen der ROS vom
oxidativen Stress auszugehen, woraufhin eine möglicherweise
gesundheitsschädliche ROS-Auslöschung vorgenommen
würde, so muss man sich noch vor weiteren
Fallstricken bewahren. So lässt sich in Vertrauen auf die
Wirkkraft von antioxidativen Vitaminen der oxidative Stress
erhöhen, da diese in sehr hohen Dosen prooxidativ wirken
können.[vgl. 6] Im Falle des
Unterstützens
der
Immunantwort kann dies aber durchaus wünschenswert sein, wie
die Hemmung des Krebswachstums durch Erhöhung der
ROS-Konzentration mittels hochdosierter Gabe von Vitamin C in einem
Tierexperiment zeigt.
[16]
Gleichwohl
vermögen ROS als
Schädlinge für die DNA ursprünglich
Krebsursache zu
sein. Vitamin C gilt ansonsten paraxoxerweise als ein
ausgezeichneter Scavanger, aber auch als SOD-Inducer.
[17]
Anderseits
können
sich Inducer hinter Prooxidantien verbergen, wenn
letztere die Mitohormesis auslösen.
Problematisch ist
auch die teilweise sehr hohe Spezifizität mancher Scavenger,
will heißen, es werden hauptsächlich
nur bestimmte ROS effektiv abgebaut.
[18]
Denkbar sind sodann
fragwürdige Resultate, wie beim einseitigen Einsatz von
Vitamin E
zum
Abbau des Hydroperoxyl-Radikals, weil das Reaktionsprodukt
Tocopherol-Radikal ein weiterhin kritisches Zwischenprodukt darstellt,
das erst durch Vitamin C u. a. durch Rückgewinnung von Vitamin
E
entschärft wird.
[19][20]
4. Quintessenz
Obgleich ein Achten auf eine ausreichende Versorgung mit
Antioxidantien prinzipiell sinnvoll ist, sind Megadosen
irgendwelcher
Antioxidantien für die Prävention klar abzulehnen,
weil Nutzen und Risiken völlig unklar sind.
Zwar legen manche Tierversuche nahe, bestimmte ROS mit passgenauen
Antioxidantien rigoros (also auch unterhalb des Schwellwerts
der Mitohormesis), aber
nicht über
deren Beseitigung hinaus, anzugehen (vgl.
[6], [11]), so dass womöglich beeinträchtigte
Stoffwechselprozesse
überkompensiert werden, dennoch ist auch hier Vorsicht
geboten, weil Studien an Menschen fehlen. Schadhafte Effekte
sind
ohne solche Fundierung nicht auszuschließen. Verbleibt,
aufgrund der
synergetischen Wirkweise vieler Antioxidantien aus natürlichen
Lebensmitteln untereinander, aber auch mit den körpereigenen,
die vielgerühmte Regenbogen-Diät
aus naturbelassenen Produkten anzustreben. Mit dieser wird ein breites
Spektrum
einzelner Wirkstoffe zusammenführt, was zudem einseitige
Überdosierungen ausschließen hilft. Nur bei
Mangelernährung bietet sich eine moderate
Supplementation eines Bündels von Antioxidantien an.
Hier sind Präperate aus natürlichen
Bestandteilen (z. B. Weintraubenkapseln) das Maß der
Dinge.
Fußnoten
[1] ChemgaPedia,
Antioxidatives Schutzsystem, S. 7/57: Was sind reaktive
Sauerstoff-Spezies? (
Online)
[2]
Ferreira
I, Die Diskussion um Antioxidantien
und Prooxidantien, NUTRI-FACTS. 2014 Nov (
Online)
[3]
Gomez J,
Methionine and homocysteine modulate the rate of ROS generation of
isolated mitochondria in vitro, J Bioenerg Biomembr. 2011
Aug;43(4):377-86 (
Online)
[4]
Schulz TJ u.
a., Glucose Restriction Extends Caenorhabditis
elegans Life Span by Inducing Mitochondrial
Respiration and Increasing Oxidative Stress, Cell Metab. 2007
Oct;6(4):280-93
(
Online)
[6] So vermag das
synthetische Antioxidans EUK-8
(salen manganese)
nach vollständiger Entgiftung von H
2O
2 mit
Cl
-
zum neuen ROS HOCl zu reagieren.
[9]
V. Lobo et al.,
Free radicals, antioxidants
and functional foods:
Impact on human health, Pharmacogn Rev. 2010 Jul-Dec; 4(8):
118–126 (
Online)
[11]
Melov S et
al., Extension of life-span with superoxide
dismutase/catalase mimetics, Science. 2000 Sep 1;289(5484):1567-9 (
Online)
[13]
Herrmann,
Wolfgang; Obeid, Rima, Ursachen und frühzeitige
Diagnostik von Vitamin-B12-Mangel, Dtsch Arztebl 2008; 105(40): 680-5 (
Online)