Der Mythos der Übersäuerung
21. Mai 2015
| Kategorie: Blog
Angeblich grassiert die Volkskrankheit
Übersäuerung durch falsche Ernährung. Beim
näheren Hinsehen liegen in der Regel aber keine
Gründe für die vermeintlich Abhilfe schaffende
basische Ernährung vor.
Ähnlich umstritten wie die Vergiftung mit Schlacken ist die
chronische bzw. latente Azidose, eine angeblich lebensstilbedingte
Übersäuerung, wobei die Säuren manchmal
selbst zu Schlacken gezählt werden. Ein kleiner Exkurs zum
Säuren-Basen-Haushalt entlarvt eine derartige
Übersäuerung als einen Mythos. Den
Säuren-Basen-Haushalt reguliert Organismus sehr effektiv, d.
h. hin und wieder auftretende Ungleichgewichte werden stets rechtzeitig
beseitigt, bevor irgendwelche schädlichen Folgen auftreten
können. Vor allem über die Niere, aber auch durch
Schwitzen, Ausatmen und den Stuhlgang entledigt sich der Organismus
überschüssiger Säuren.
Im streng definierten Rahmen kann basische
Ernährung helfen
Nur bei bestimmten Erkrankungen wie entgleister Diabetes oder
Niereninsuffizienz, daneben auch beim Hungern, kann als Folge eine
Azidose entstehen. Hier steht die kausale Beseitigung der Ursachen oder
vorgelagerten Störungen im Vordergrund, ansonsten kann hier
eine basische Ernährung unterstützend zum Einsatz
kommen. Basische Ernährung zwecks Entsäuerung als
eine die Gesundheit restaurierende Maßnahme ist aber
völlig obsolet, wenn keine Azidose vorliegt. Gerne wird saurer
Urin fälschlicherweise als Indiz für diese
angeführt.
Jedoch schwankt der pH-Wert des Urins ohnehin
naturgemäß im sauren Bereich, zudem ist saurer Urin
ein hervorragender Beleg für die physikalisch völlig
ordnungsgemäße Ausscheidung von
überschüssigen Säuren durch die Nieren.
Der Schuss kann nach hinten losgehen
Dennoch kann ein gewisser Nutzen einer pH-Wert-optimierten, nicht
notwendigerweise basischen, Ernährung insoweit angenommen
werden, als dadurch Energie aufbrauchende Regulationsmechanismen nicht
beansprucht werden mit der Folge eines geringeren
Verschleißpotentials. Nach der rate of living-Theorie
korreliert
der Energieumsatz bzw. die Stoffwechselrate nämich mit der
Alterungsrate. Die durch die Säurehysteriker
propagierte deutlich basische Ernährung wäre so
gesehen ebenso unnötig belastend.
Abgesehen davon
fußt die durch sie unterstellte Säurewirkung eines
Lebensmittels irrigerweise oft auf
dessen Säuregehalt oder Wirkung auf die
Magensäuresekretion. Manchmal wird der Begriff
Übersäuerung zwar auf die
Magenübersäuerung bezogen, die einen
tatsächlichen vergiftungsähnlichen Zustand
darstellt. Im eigenen Fokus der Verfechter ist aber
der Blutsäurewert und so entpuppt sich z. B. Kaffee trotz
Ankurbelung der Magensäure als leicht basisch für das
Blut.[1]
Der Schonung
der Regulationsmechanismen dürfte bereits damit
genüge getan sein, wenn man sich an die Grundsätze
der ausgewogenen Ernährung hält und nicht ins Extreme
verfällt.
[1] Remer & Manz, Potential renal acid load of foods and its
influence on urine, J Am Diet Assoc. 1995 Jul;95(7):791-7