Kalorienrestriktion ohne Kalorienrestriktion– geht
das?
31. Mai 2014
| Kategorie: Blog
Rigorose Kalorienrestriktion verspricht das
wirkungsvolle Hemmen von
Alterungsprozessen. Doch wozu mit Kanonen auf Spatzen
schießen, wenn vermeintlich zielgenauere Waffen im Arsenal
der Ernährungsstrategien vorzufinden sind.
Mit der Kalorienrestriktion (bzw. Caloric Restriction – CR)
lässt sich unter Laborbedingungen die Lebenserwartung
von
Lebewesen drastisch ausweiten. Bereits seit 1935 durch
Experimente mit
Ratten ist dieses Phänomen bekannt und es lässt sich
auch bei größeren Tieren, wie zuletzt Rhesusaffen
– wenn auch durchaus wenig signifikant –
beobachten. Epidemiologische Studien mit Menschen stehen noch aus,
medizinisch untersuchte
Selbstexperimentierer weisen aber deutlich bessere Gesundheitsparameter
als ihre Altersgenossen auf. Jedoch zeichnet sich ab, dass die
Mühen der Hungerkünstler nicht im unbedingt
Verhältnis zum Nutzen stehen. Nach aktuellem Forschungsstand
scheint für den Effekt im Wesentlichen alleine die Reduktion
der Aufnahme zweier Nahrungskomponenten verantwortlich zu sein und
weniger die Gesamtzahl der Kalorien.
Der Hintergrund
Die maßgebliche Langzeitwirkung der Kalorienreduktion ist die
Eindämmung der Zellteilung, die dem Ersatz
beschädigten oder verloren gegangenen Gewebes dient. Hierdurch
wird das Hayflick-Limit später erreicht, das die Anzahl der
möglichen Zellteilungen beschreibt. Jene ist nämlich
begrenzt, da bei jeder Zellteilung sich die die DNA
schützenden Chromosomenenden (Telomere) verkürzen,
bis schließlich der Zelltod eintritt und weitere
Zellteilungen ausbleiben. Anstelle der ernährungsbedingt
unterbundenen Zellteilung tritt hinsichtlich der beschädigten
Zellen nun deren Reparatur. Nichtfunktionelle Zellteilung bis hinzu
Tumorwachstum wird so gehemmt, außerdem wird die
Abtötung von irreparablen Zellen verstärkt aktiviert.
Das Switchen von Wachstum auf Konservierung geschieht über die
Inhibition von Wachstumsfaktoren, deren Synthese durch die
Essensaufnahme stimuliert wird. Namentlich sind Insulin und
Insulin-like growth factor 1 (IGF-1) zu nennen, welche der Zelle
signalisieren, dass Energie zur Verfügung steht, die sodann
auf Energieverwertung u. a. durch Zellteilung stellt. Nicht nur
Diabetikern dürfte bekannt sein, dass Süßes
den Insulinspiegel ansteigen lässt, und so liegt eine den
Blutzucker äußerst niedrig haltende
Ernährungsweise auf der Hand. Hinsichtlich IGF-1 ist der
Hauptreiber auch ausgemacht: Eiweiß und darunter v. a. die
Aminosäure
Methionin.
Eiweißrestriktion führt nachweislich zu einem
niedrigeren
IGF-1-Serumspiegel bei Mäusen
[1] und
höherer Lebenserwartung bei Fruchtfliegen
[2]
Somit versprechen die
folgenden Strategien mit Fokus auf Blutzucker und
Eiweißzufuhr eine Nachahmung der Effekte von CR.
Die Alternativen zu CR
Um den Blutzucker äußerst niedrig zu halten (stetige
Werte unter 100 mg/dl sind für Anti-Aging ideal)[CR-Society],
bietet sich eine antidiabetische Ernährungsweise an, auch wenn
man kein Diabetiker ist. Denn auch bei Gesunden treten Glucosespitzen
auf, wenn Süßes oder bloß Zuckerhaltiges
(das nicht unbedingt süß schmecken muss, wie Brot)
gegessen wird. Auf die schnelle Abbaurate kommt es nicht an, denn der
Schaden ist ja bereits da, sobald viel Insulin ausgeschüttet
wird. Diabetiker sind auf der anderen Seite durch die oftmals zu
großzügige äußere Insulinzufuhr
tatsächlich höherem Krebsrisiko ausgesetzt. Ob eine
Ernährung antidiabetisch ist, bemisst sich an deren
glykämischen Last. Diese Kennzahl ist ein Indikator
für den zu erwartenden Blutzuckeranstieg. Sie errechnet sich
aus dem glykämischen Indexwert (GI) eines Lebensmittels, das
den Blutzuckeranstieg im Vergleich zur gleichen Menge Zuckeraufnahme
angibt, multipliziert mit der Masse der zugeführten
zuckerhaltigen Kohlenhydrate.
Naturgemäß haben eiweiß- und fettreiche
Nahrungsmittel einen niedrigen GI, da der Anteil der Kohlenhydrate
gering ist – und hier liegt das Problem. Als Obergrenze
für die bedenkenlose Eiweißzufuhr gelten 0,8 Gramm
je Kilogramm Körpergewicht und so wären theoretisch
der Kohlenhydratminimierung Grenzen gesetzt, um weiterhin
Sättigung zu erreichen. Hier ließe sich CR ins Feld
führen, soweit damit beide Faktoren positiv beeinflusst
werden. Die ungesunde reine
Fettzufuhr scheidet als dritter Weg wohlgemerkt aus. Doch der
Zielkonflikt zwischen KH- und Proteinminimierung ist aufhebbar.
Glücklicherweise gibt es Lebensmittel, die zugleich
kohlenhydratreich sind und einen niedrigen GI aufweisen.
Süßkartoffeln, Graupen, Essenerbrot, die meisten
Beerensorten, bestimmte Reissorten, oder Vollkornnudeln sind zu nennen.
Selbstverständlich nur in Maßen genossen und nicht
weichgekocht, wodurch der enthaltene Zucker schneller verwertbar wird,
sind diese Lebensmittel zuträglich. Eine Blutzuckerkontrolle
sollte Gewissheit verschaffen.
Weitere Argumente für die CR-Alternative
Freilich ist die Substitution der CR durch eine KH-
und Eiweiß-optimierte Ernährung nur in der Theorie
für Menschen gleichwertig. Dennoch wird diese durch
Tierexperimente mit Wirkstoffen, welche die Effekte des Hungerns bzw.
der Eiweißrestriktion gezielt nachahmen, ohne dass an der
Kalorienschraube gedreht würde, gestützt. So
signalisiert die Gabe von u. a. in Rotwein enthaltenem Resveratrol dem
Organismus einen Hungerzustand (daher
„CR-Mimetikum“), was zumindest bei fettleibigen
Mäusen zu einer um 15 % höheren
Lebenserwartung
führt – bei normalgewichtigen trotz verbesserter
Gesundheit nicht!
[3]
Wie beim Zuckerverzicht sind eine verbesserte
Insulinsensitivität und verstärkte Fettverbrennung
festzustellen. Daher nahmen kalorienreich gefütterte
Resveratrol-Mäuse weniger stark zu als ihre gleich
ernährten, aber unbehandelten Artgenossen.
[4]
Die Folgen der Eiweißeinschränkung lassen sich mit
dem IGF-1-Inhibitor Rapamycin, eigentlich ein immunsuppressives
Medikament, herbeiführen. Das Ergebnis: Ein bis zu 13 %
längeres Leben bei Mäusen.
[5]
Fazit
Augenscheinlich lassen sich die Effekte von CR durch
niedrigglykämische KH und die Proteinbeschränkung
bzw. entsprechende Mimetika wenigstens ein Stück weit
nachahmen. Trotzdem ist dies noch lange kein Abgesang auf CR, wie die
normal ernährten Resveratrol-Mäuse ohne
Überlebensvorteil zeigen. Das Fehlen der
Eiweißrestriktion könnte nun
Erklärungsgrund sein, aber die Forschungslage ist alles in
allem recht dürftig und endgültige Schlüsse
sind unmöglich. Mit CR wäre man sozusagen auf der
sicheren Seite, mit der Alternative dürfte man aber die
Hälfte der Ernte oder mehr bereits einfahren.
Interessanterweise schnitt die Gruppe der mit
Resveratrol behandelten und zugleich restriktiv (also auch
eiweißrestriktiv) ernährten Mäuse am besten
ab.
Quellenangaben
[1]
Edoardo
Parrella u. a., Protein restriction cycles reduce IGF-1 and
phosphorylated Tau, and improve behavioral performance in an
Alzheimer's disease mouse model, Aging Cell, Apr. 2013
Link
[2]
Dr Matt Piper,
UCL
Institute of Healthy Ageing, A diet to treat ageing (21 Feb 2013) -
youtube-Video
Link
[3]
Steffan Heuer,
Altern ist eine Krankheit, Technologie Review, Feb 2010
Link
[4]
R. Khamsi,
Red wine compound boosts
athletic endurance, New Scientist,
Nov 2006
Link
[5]
Ben Schwan,
Pharmakologische Lebensverlängerung bei Mäusen, Heise
Online, 10.07.2009
Link